Durch einen Artikel in dem Straßenmagazin fifty-fifty war das Team der Suchtkrankenhelfer der Neuapostolischen Kirche Nordrhein-Westfalen-West (SKH NAK NRW-West) auf die Möglichkeit einer Stadtführung der besonderen Art in Düsseldorf aufmerksam gemacht worden. Am Samstag, den 29. März 2014 nahmen daher Helfer und Mitglieder der SKH-Selbsthilfegruppen an solch einer Führung teil. Ehemals Wohnungslose berichteten über ihre Situation und zeigten ihr Lebensumfeld unter Brücken und auf den Straßen.
Ausgangspunkt der Stadtführung war das Büro der fifty-fifty Sozialberatung in der Nähe des Düsseldorfer Hauptbahnhofs. Hier stellten sich zunächst die beiden Stadtführer Armin und Martin vor. Beide sind lange obdachlos gewesen und haben einige Zeit zusammen in Düsseldorf „Platte" gemacht. Mittlerweile haben sie aber wieder eine eigene Wohnung. Im Rahmen dieser Vorstellungsrunde konnte Frank Storck, Teamleiter der Suchtkrankhilfe NAK NRW-WEST, allen Teilnehmern der Führung kurz die SKH NRW-WEST vorstellen.
Notunterkünfte und Notschlafstellen
Armin und Martin erzählten während der gesamten Führung im Wechsel aus ihrem eigenen Leben und ihren Erfahrungen. Sie führten zu den verschiedenen Einrichtungen, die einmalige, getrennte Schlafplätze für Männer und Frauen anbieten. Unterschieden wird hier unter anderem in Notunterkünfte und Notschlafstellen.
Notunterkünfte sind Zimmer oder Wohnungen, die im allgemeinen wohnungslosen Menschen für längere Zeit zur Verfügung gestellt werden können. Hier gilt allerdings nur ein Nutzungsrecht, was sich aus der Sicht von Armin und Martin seitens der Behörden und deren Hausmeister in der Praxis als ein sehr dehnbarer Begriff herausgestellt hat. So hat ein Bewohner einer Notunterkunft nie die Sicherheit, ob er zum Beispiel nächste Woche noch in seiner Wohnung bleiben kann. Diese Ungewissheit veranlasst viele Obdachlose dazu, nicht auf diese Angebote einzugehen.
Eine Notschlafstelle gilt nur für eine Nacht und wird von vielen Obdachlosen oft nur im Notfall, wie zum Beispiel bei schlechtem Wetter, genutzt. Grund dafür ist unter anderem, dass Diebstähle in diesen Einrichtungen nicht unüblich sind. Hier trifft man sich eben nur zum Schlafen und nicht, um Freundschaften zu schließen.
Platte ist anders
Auf der Platte bilden sich oft einzelne Gruppen, die sich zusammenfinden und in denen untereinander vertraut werden kann. Zwischen den verschiedenen Gruppen kann es durchaus schon einmal zu Auseinandersetzungen kommen. Oft geht es bei diesen Auseinandersetzungen um die Schlafstellen. Angeboten werden solche Einrichtungen von der Diakonie, der Caritas und der Ordensgemeinschaft der Armen Brüder.
Außerdem steht in Düsseldorf ein altes ehemaliges Krankenhaus zur Verfügung. Darauf kann bei Bedarf zurückgegriffen werden. Aus diesem Grund vertritt die Stadt die Ansicht, genügend Schlafplätze anbieten zu können. Dieser Meinung sind die Obdachlosen nicht. Des Weiteren ist es für sie auch ein besonderes Problem, dass sie ihre Hunde, meist der einzige und beste Freund, zu diesen Schlafplätzen nicht mitnehmen können.
Schlafplätze ohne Hunde
Die Wohnungslosen könnten die Hunde für eine Nacht im Tierheim abgeben. Allerdings ist es schwierig und ein großes logistisches Problem, abends dann noch einen Schlafplatz zu finden. Falls sie aber einen gefunden haben, müssen sie frühmorgens das Tier abholen und verpassen dadurch das Frühstück. So steht oft die Entscheidung an: ein Bett oder der Hund. Fast immer wird sich für den Hund entschieden. Die Tiere sind notwendige, verlässliche Kameraden und auch Wächter, Helfer in Not.
Hilfe in Rechtsfragen wird den Obdachlosen immer wieder durch einen in Düsseldorf wohnenden Rechtsanwalt zuteil. Darüber sind sie froh und dankbar und hoffen, durch ihn auch das Hundeproblem lösen zu können.
Ein weiterer Haltepunkt während der Stadtführung war ein Leihhaus. Leihhäuser werden von Obdachlosen öfter aufgesucht, um die Zeit vom Monatsende bis zum nächsten Ersten zu überbrücken. Wenn dann bei der Stadt der monatliche Satz an Geld abgeholt werden kann, wird das Verliehene wieder eingelöst. Armin und Martin haben mit den Leihhäusern nur gute Erfahrungen gemacht, in dem Sinne, dass sie nie übervorteilt worden sind.
Arrangement mit Hausmeistern
Die beiden führten die Gruppe zum Abschluss der Führung an ihren alten Schlafplatz, und zwar zum Eingang eines großen Warenhauses zwischen Kö und Altstadt. Es ist so, dass zwischen den Obdachlosen und den Hausmeistern der Gebäude oft ein stilles Abkommen gilt: Du machst hier nichts kaputt und dreckig und bist zeitig vor der Öffnung weg, dafür darfst du hier übernachten. Wenn sich das zwischen einer Gruppe von Obdachlosen und den Hausmeistern einmal eingespielt hat, läuft das Zusammenleben mehr oder weniger reibungslos. Probleme entstehen meist erst dann, wenn sich Einzelne nicht mehr an die Regeln beziehungsweise Übereinkünfte halten. Dann kann es schon einmal zu den oben erwähnten Auseinandersetzungen unter den Obdachlosen kommen.
Ein guter Schlafplatz ist wichtig. In der Zeit, als Armin und Martin dort ihren Schlafplatz hatten, befand sich an der Außenwand im Eingang des Warenhauses sogar eine Außensteckdose. Rasieren war möglich, Handys konnten aufgeladen werden und sogar ein Minifernseher lief manchmal. Dass dieser Schlafplatz nicht aufgegeben werden wollte und deshalb auch verteidigt wurde, ist verständlich.
Freitags früh raus
„Manchmal war Platte gar nicht so schlecht“, sagten Armin und Martin etwas nachdenklich, als sie sich an diese Momente erinnerten. „Freitags kam allerdings schon um 6 Uhr der Wagen von der Stadt, um die Bürgersteige mit Wasser abzuspritzen und die Innenstadt für das Wochenende chic zu machen. Das hieß also freitags immer früh raus“, erzählten sie heiter den Teilnehmern der Führung.
Interessant war auch der Hinweis der beiden, wie die neuen Bänke in der Innenstadt und in der Altstadt aussehen. Diese haben zwar immer noch drei Sitzflächen, diese sind aber mit „Armlehnen“ getrennt, sodass sich niemand mehr auf der Bank ausstrecken kann. Was es nicht alles gibt!
Essen in der Armenküche
Ein kostengünstiges Essen kann in Düsseldorf jeder ohne Nachweis seiner Bedürftigkeit in der Armenküche bekommen, je nach Mahlzeit ab Euro 0,50 aufwärts. Man kann dafür Marken kaufen. So hat Armin sich oft Anfang des Monats ein paar Marken gekauft, um sich diese bis zum Ende des Monats als eiserne Reserve aufzubewahren. So hatte er immer die Gewissheit, falls er wirklich ganz pleite sein sollte, wenigstens noch eine warme Mahlzeit am Tag zu bekommen.
Besonders interessierte die SKH natürlich das Alkoholproblem, mit dem Wohnungslose von der Gesellschaft sofort in Verbindung gebracht werden. Dazu ist zu sagen, dass es natürlich unter den Obdachlosen auch süchtige Trinker gibt, eventuell statistisch gesehen, sogar ein klein wenig mehr.
Alkoholkonsum
Missbräuchlicher Umgang mit Alkohol, wie ihn die Gesellschaft versteht, ist ebenfalls eher zu beobachten. Eine Stigmatisierung der Obdachlosen in diese Richtung ist allerdings schlicht und einfach falsch. Der Punkt ist eben, dass jeder sehen kann, wenn der Wohnungslose trinkt, weil das im öffentlichen Raum geschieht. Auch wenn jemand vollkommen betrunken ist und irgendwo auf dem Bürgersteig liegt, ist das von jedem zu sehen. Ob in der „normalen“ Gesellschaft grundsätzlich weniger oder anders konsumiert wird, kann zumindest angezweifelt werden. Es wird eben nicht öffentlich getrunken.
Diese Führung hat den Teilnehmern die Probleme und Sorgen der Obdachlosen verdeutlicht und einige Vorurteile abbauen lassen.
An dieser Stelle noch einmal einen herzlichen Dank an alle Teilnehmer der Führung für das Einverständnis, Fotos von ihnen im Zusammenhang mit diesem Bericht im Internet zu veröffentlichen.
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