Bezirk Herford. Wir trafen uns mit Priester Frank Storck - selbst abstinent lebender Alkoholiker und qualifizierter Mitarbeiter der „Neuapostolischen Kirche Westdeutschland - Süchtige und Angehörige“ - zu einem Interview.
Offen beantwortete er unsere Fragen zu seiner Arbeit und zu seinem persönlichen Erleben sowie seinen Erfahrungen als Süchtiger in der Neuapostolischen Kirche. „Es ist mir wichtig, das Thema „Sucht“ in den Gemeinden anzusprechen und aufzuklären, so dass sich ein vorbehaltloses Miteinander entwickeln kann,“ so Frank Storck.
Das Interview:
Ihr setzt euch dafür ein, dass mit dem Thema „Sucht“ offen umgegangen wird in unserer Kirche und Betroffene nicht ausgegrenzt werden. In einigen Bezirken gibt es bereits Selbsthilfegruppen. Nach welchem Konzept arbeitet ihr in diesen Gruppen?
Zunächst möchte ich deutlich machen: Wenn wir von „Betroffenen“ sprechen, sind das immer Süchtige und Angehörige. Eine Sucht hat tiefgreifende Auswirkungen in Lebensumstände und Psyche beider Seiten.
„Betroffen“ bleibt man ein Leben lang - das hört nicht auf mit dem Tag, an dem man sagen kann: „Ich bin abstinent.“ Im Gegenteil, nach anfänglicher Euphorie, macht sich eine Leere breit und dann fängt der Kampf erst an. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wertvoll - gerade in dieser Zeit - ein gemeinsamer Austausch in einer homogenen Gruppe ist.
„Selbstausgrenzung“, oft durch Scham erzeugt, ist ein wichtiges Thema in den Selbsthilfegruppen. Wir fördern einen offenen Umgang der Betroffenen mit sich selbst und mit ihrer eigenen Suchtproblematik. Nur wer seine Sucht erkennt, lernt sich und seine Gefühle wahrzunehmen und zu entscheiden was aktuell am besten (auszuhalten) ist.
In unseren Selbsthilfegruppen ist jeder willkommen, ob aktuell konsumiert oder abstinent gelebt wird. Unser Konzept ist: „Gemeinschaft ist mehr wert als Abstinenz.“
Aktiv nehmen ca. 35 Personen an den Gruppenstunden in unseren vier Selbsthilfegruppen teil.
Ansprechpartner und weitere Informationen findet ihr auf unserer Homepage.
Wie werden die Gruppenleiter der Selbsthilfegruppen auf ihre Aufgabe vorbereitet?
Die Gruppenleiter sind zu 95 % selbst betroffen. Durch die eigene Betroffenheit sind sie im Grunde schon qualifiziert, da sie sich in die besondere Lebens- und Empfindungswelt der Betroffenen sehr gut einfühlen können. Der Einsatz als Leiter von Selbsthilfegruppen setzt bei eigener Suchtmittelabhängigkeit eine mindestens zweijährige Abstinenz voraus.
Nichtbetroffene Gruppenleiter dürfen Betroffene, also Süchtige und Angehörige, grundsätzlich nicht „heilen“ oder beraten wollen. Sie akzeptieren, dass Abstinenz nicht für jeden Süchtigen ein Mehrwert sein muss. Ob aktuell konsumiert oder abstinent gelebt wird, spielt keine Rolle. Das klingt für die meisten neu und ungewohnt.
Wir als Gruppenleiter sind untereinander ständig in Kontakt und treffen uns regelmäßig zu Besprechungen in unserer Verwaltung in Dortmund.
Die Selbsthilfegruppen stehen auch nicht der NAK zugehörigen Menschen offen. Wird dieses Angebot genutzt?
Im Moment besuchen nur Menschen aus dem NAK-Kreis die Selbsthilfegruppen.
Nach meiner Entwöhnung war ich mit meiner Frau in einer Selbsthilfegruppe außerhalb der NAK. Wir haben uns dort sehr wohl gefühlt und diese Gruppe konnte uns viel helfen.
Uns fehlte jedoch der Austausch mit neuapostolischen Betroffenen: Wie erleben diese ihre Betroffenheit im Zusammenhang mit Gottesdienst, Sündenvergebung, Gemeindeleben und Kontakt zu den Amtsträgern? So haben wir uns mit anderen neuapostolischen Christen zusammengefunden, um in unserer Kirche, in unserer Glaubensheimat, über Sucht zu sprechen. Damit wollten wir auch zum Ausdruck bringen, dass wir uns als Teil der Gemeinde empfinden.
Für Menschen, die nicht aus dem NAK-Kreis kommen, sind diese Themen natürlich nicht so interessant. Eingeladen ist aber grundsätzlich jeder.
Eure Gruppe gliedert sich in mehrere Bereiche. Es gibt noch die Fachgruppe Suchtkrankenhilfe und die Suchtberater. Welche Aufgabe hat die Fachgruppe Suchtkrankenhilfe?
Der Fachgruppe gehören ein nichtbetroffener Seelsorger, ein Betroffener und ein Angehöriger an.
Sie ist eine Schnittstelle zwischen den Betroffenen, den Gemeinden und den Seelsorgern. Die Gruppe
- berät die Kirchenleitung in Suchtfragen und der konzeptionellen Fortentwicklung der Suchtkrankenhilfe,
- gewährleistet den Erfahrungsaustausch von Suchtberatern und Leitern der Selbsthilfegruppen,
- wirkt bei der Fortbildung von Seelsorgern innerhalb der Kirche mit. Um die Seelsorger auf ihre Aufgabe vorzubereiten, entwickelte sie einen Leitfaden und das Merkblatt „Sucht und Glaube“.
Die Fachgruppe Suchtkrankenhilfe arbeitet mit dem gleichen Konzept wie die Betroffenen - „Gemeinschaft ist mehr wert als Abstinenz“ - und versucht so den Betroffenen zu helfen.
Wie wird euer Angebot der Unterstützung und Fortbildung von den Seelsorgern der NAK angenommen?
Hinsichtlich der Anfragen durch Seelsorger ist erfreulicherweise ein moderater Zuwachs zu verzeichnen. Wir würden uns aber durchaus noch ein breiteres Interesse wünschen.
Bisher bieten wir Fortbildungsveranstaltungen nur in den Kirchenbezirken an, in denen einer unserer Suchtberater oder Gruppenleiter als Ansprechpartner für den Bezirk benannt ist. Damit möchten wir erreichen, dass Seelsorge und Suchtkrankenhilfe Hand in Hand arbeiten.
Ein überregionales Konzept hinsichtlich der Fortbildung für Amtsträger in Bezug auf die Belange der Betroffenen wird in naher Zukunft erarbeitet werden.
Bleibt die Gruppe der Suchtberater, was ist ihre Aufgabe?
Die Suchtberater unterstützen die Fachgruppe Suchtkrankenhilfe.
Ihre Hauptaufgaben sind:
- die Förderung eines vorbehaltlosen Umganges mit Suchtkranken und Mitbetroffenen
- die Beratung von Süchtigen und Angehörigen bei akutem Konsum auf Anfrage
- die Beratung von Seelsorgern bei der Betreuung von Suchtkranken und deren Angehörigen.
Alle Suchtberater verfügen in der Regel über eine zertifizierte Fortbildung zum ehrenamtlichen Suchtkrankenhelfer oder haben bereits Erfahrungen als Suchtberater beziehungsweise als sozialer Ansprechpartner in Hilfsorganisationen, Unternehmen oder Behörden.
Arbeitet ihr mit Netzwerk- / Kooperationspartnern wie Kliniken, Beratungsstellen, Selbsthilfeverbänden zusammen?
Einige der Suchtberater in der Fachgruppe Suchtkrankenhilfe sind als betriebliche Suchtkrankenhelfer ausgebildet und tätig, beziehungsweise tätig gewesen. Dementsprechend nutzen wir bei Bedarf die Netzwerke dieser Mitarbeiter.
Zusätzlich haben wir Kontakt zum Blauen Kreuz Deutschland. In der Präventionsarbeit arbeiten wir mit blu:prevent zusammen. Beim IJT 2019 hatten wir zusammen mit blu:prevent einen Messestand in Halle 6 mit dem bezeichnenden Namen „Stigma City“
Wir bedanken uns bei Frank Storck für das Interview.
Er ist Leiter einer Selbsthilfegruppe und Fachgruppenleiter der „Fachgruppe Suchtkrankenhilfe“ der Neuapostolischen Kirche Westdeutschland sowie Teamleiter Suchtberater.
Wir danken ihm und allen Mitarbeitenden, die sich ehrenamtlich engagieren und sich dafür einsetzen, dass mit dem Thema „Sucht“ in unseren Gemeinden offen umgegangen wird.
Weitere Informationen, Adressen und Ansprechpartner finden Sie auf der Website www.nak-suchtkranke.de.
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