Eine Mutter berichtet über den Haschischkonsum ihres Sohnes.
Unser Sohn Hinrik besuchte das Gymnasium und ging mit der mittleren Reife ab. Im Alter von ungefähr 13 Jahren hat er mit dem Haschischkonsum begonnen. Uns ist es aber nicht so schnell aufgefallen. Richtig bewusst wurde uns sein Konsum, als wir aus einem Sommerurlaub, ohne ihn, zurückkamen.
Zum Einkaufen nach Venlo
Wir bekamen Post von der Polizei. Unser Sohn, noch minderjährig und ohne Führerschein, war mit einem älteren Freund (dieser war gefahren) während unserer Abwesenheit mit unserem Auto zum „Einkaufen“ nach Venlo in die Niederlande gefahren. Dabei waren sie aufgefallen. Wir haben auf ihn eingeredet und versucht, durch ein Verbot im Umgang mit seinen kiffenden Freunden Einfluss zu nehmen. Das hat aber nichts genützt. Für die Lehrer des Gymnasiums bestand keine Gefahr. An ihrer Schule gab es angeblich keine Drogen, obwohl bei den von der Schülervertretung veranstalteten Feten der Schule schon über Jahre immer Security anwesend war.
Wir sind dann von dem Umgangsverbot wieder abgekommen. Die Angst, dass Hinrik uns ganz entgleiten könnte, und wir gar nicht mehr sehen, mit wem er Umgang hat, bewog uns dazu.
Pflanzenaufzucht
Mit seinen Freunden hing er also weiterhin ab, auch bei uns zu Hause. Sie rauchten ihre Pfeifchen. Das wussten und rochen wir. Es ging sogar so weit, dass wir es duldeten, dass Hinrik Haschischpflanzen züchtete. Als er damit begann, dachten wir noch: na ja, dass wird er nicht auf die Reihe kriegen. Die Pflanzen gehen ja doch ein. Nein, er hat sich intensiv mit der Aufzucht beschäftigt. Bücher gelesen und das entsprechende Material wie Lampen et cetera gekauft. Sie wuchsen prächtig. Wir trösteten uns damit, dass er dann ja nicht irgendwo Hasch kaufen musste. Irgendwann waren die Pflanzen aber so weit gediehen, dass der Duft bald durch das ganze Haus zog. Das war das Ende der Aufzucht.
Der Alkoholismus kam während der Berufsausbildung hinzu
Als 16-jähriger begann er auf eigenen Wunsch eine Kochlehre. Es war immer einer seiner Wunschberufe gewesen. So war unsere große Hoffnung, dass er dann gefordert werden würde und auch Freude und Befriedigung dabei finden würde. Er war auch weiterhin Feuer und Flamme und ging in seinem Beruf auf. In diesem Beruf ist es ein Muss, nebenher viele Flüssigkeiten zu sich zu nehmen. Die Hitzeentwicklung und der Stress sind groß. Der Alkohol auch immer in greifbarer Nähe. Ein Bierchen oder mehr ist für viele eine Versuchung. Sein Vorgesetzter war Alkoholiker und so kam dann der Alkohol dazu. Auf Partys und zum Feiern schmiss er Amphetamine ein, um durchhalten zu können, anschließend wieder Pillen zum Runterkommen.
So entwickelten sich ein Kreislauf und die Abhängigkeit von verschiedenen Drogen.
Hausdurchsuchungen
Wir machten Bekanntschaft mit der örtlichen Polizei. Zwei Mal kam sie zur Hausdurchsuchung angerückt. Sie wollten ihm einen Drogenhandel nachweisen. Dies gelang nicht, da es nicht der Fall war. Hinrik war so schlau, seinen Konsum (zumindest zu dieser Zeit) in einem Notizbuch fest zu halten. Das fand die Polizei dann und ansonsten nur geringe Mengen zum sofortigen Verbrauch. Einmal mussten wir ihn von der Wache abholen, als sie ihn und seinen Freund mit dem Auto angehalten und verhaftet hatten. Er hatte die Nacht auf der Polizeiwache verbringen müssen. Da hatte ich ihn dann so weit, dass er mit mir zur Drogenberatung ging. Das war aber nur ein Mal. Er war immer der Meinung, alles unter Kontrolle zu haben. In seinem Beruf hat er immer alles gegeben, allerdings nicht ohne irgendwelche Drogen einzunehmen, vor und nach der Arbeit. Während der Arbeit war es wohl das Bier und vielleicht mal eine Zigarette.
Frühe Heirat
Mit 23 Jahren heiratete er und wurde direkt Vater einer Tochter. Seine Frau rauchte auch ihre Pfeifchen. Sie litt an der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Er hatte dann mal versucht, von den Drogen los zu lassen. Seiner Frau gefiel er dann aber nicht mehr und so nahm er wieder seine Mittelchen. Die Ehe ging nach vier Jahren in die Brüche. Er hat sich aber immer verantwortlich gefühlt, vor allen Dingen für seine Tochter.
Er arbeitete jahrelang in einem Altenheim in der Küche. Auf Wunsch eines Freundes kündigte er im Altenheim. Der Freund wollte ihn einstellen und in zwei neuen Kneipen beschäftigen. Das gefiel unserem Sohn sehr gut, da im Altenheim kein kreatives Kochen möglich war. Das Vorhaben schmiss der Freund aber wieder und seitdem war unser Sohn arbeitslos.
Zweite Heirat mit Bedingungen
Mit 31 Jahren heiratete Hinrik ein zweites Mal und bekam zunächst eine Tochter und auf Wunsch seiner Frau 2012 noch einen Sohn. Seine zweite Frau war schon im Methadonprogramm, als er sie kennen lernte. Sie verlangte von ihm zu Beginn der Ehe den Entzug. Sie wollten zuerst gemeinsam in eine Klinik, dann wieder nicht. Dann beschloss seine Frau, dass er erst mal allein gehen sollte. Das dauerte dann einige Monate bis er dazu bereit war. Er merkte dann selber, dass er nichts mehr so gut koordinieren und auch behalten konnte. Er hatte das Gefühl des Versagens und wollte und konnte so nicht weiter machen. Er ging dann auf eigenen Wunsch nach Krefeld für zwei Wochen in die Klinik und wurde als trockener Alkoholiker entlassen. Das hielt ein paar Monate. Dann wurde er rückfällig. Anfang 2011 ging er dann wieder in die Klinik nach Fredeburg und wurde kurz vor Weihnachten entlassen. Das hat ihm gut getan und bis jetzt ist er trocken und clean.
Ich - als Mutter-
Für mich, als Mutter, war es fürchterlich mit ansehen zu müssen, wie mein Sohn sich verbrauchte, ja quasi zu Grunde richtete. Er war gesund und intelligent. Durch den Haschischkonsum stahl er sich von uns und seinen Problemen oder den Dingen, die ihm nicht gefielen oder die er meinte nicht bewältigen zu können weg. Damit fing es an. Er verdrängte und betäubte sich. Wenn er dann zwischendurch „auftauchte“, also bevor er zur Arbeit ging (als er noch zu Hause war) war seine Laune schlecht. Man konnte nicht groß mit ihm reden. Er wurde gleich lauter und war dann sofort aus dem Zimmer oder aus dem Haus. Wir verstanden ihn nicht und manchmal wünschte er sich nicht mehr lange zu leben. „Besser gut und kurz gelebt, als lang und schlecht“. So ungefähr drückte Hinrik sich immer aus. Er hatte diesen Todeswunsch schon als elfjähriges Kind geäußert. Damals war ich zur Elternberatungsstelle des Kreises gegangen. Das war, wie man so schön sagt, ein Schuss in den Ofen. Wir mussten komplett als Familie dort im Büro erscheinen. Das gelang nur ein einziges Mal, da unser Sohn natürlich nicht wollte und mit der gesamten Familie schon gar nicht. Die Therapeuten waren in der Beziehung nicht einsichtig und ließen sich auf Einzelgespräche nicht ein.
hatte ich versagt?
Dieser Todeswunsch hatte mich zu der Zeit damals sehr getroffen. Er war da so unglücklich, wollte aber auch nicht mit mir oder uns darüber sprechen. Ich entsinne mich an meine Kindheit. Da fühlte ich mich auch manchmal missverstanden. Das ist ja ganz natürlich. Ich wünschte mir dann insgeheim, in meiner Wut: „So jetzt müsstest du auf der Stelle tot umfallen, damit alle sehen, was sie an dir hatten!“ Das war dann so eine Art Racheaktion oder Vergeltung. Unser Sohn war verzweifelt und weinte, und ich konnte ihm nicht helfen. Er wollte auch keine Hilfe. Er wollte immer stark sein und alles allein können. Dabei fühlte ich mich auch schuldig. Hatte ich da einen Fehler in meiner Erziehung gemacht? Ich kann auch nicht so gut über meine Gefühle sprechen und aus mir heraus gehen. Gerade deswegen hätte ich Hinrik dazu bringen, ihn ermuntern müssen über seine Gefühle zu sprechen. Ich hätte ihn stärken müssen, ihm zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen müssen. Ich fühlte mich als Versagerin. War ich nicht genug Ansprechpartnerin in seiner frühen Kindheit gewesen? Er hatte sich schon im Kindergartenalter nicht auf meine Fragen und Anteilnahme eingelassen. Ich entsinne mich noch genau, dass ich auf meine Frage: "Na, was habt ihr denn heute im Kindergarten gemacht?“ „Nichts, geht dich nichts an!“ zur Antwort bekam.
Erfahrungen in der Selbsthilfegruppe
In der Selbsthilfegruppe haben wir gehört, dass wir aus der Erfahrung nur lernen können. Die Dinge, die wir erlebt haben, müssen wir in uns bewahren und für uns verarbeiten. Wir können daran reich werden, eine Perle daraus machen, wie es die Muschel macht.
Ich war immer glücklich über seine Unbeschwertheit im Kleinkindalter gewesen. Hinrik war immer quirlig und in Bewegung. Er hatte damals schon sehr viel Phantasie und war gern kreativ. Allerdings auch da schon nur nach seinen eigenen Vorstellungen, nicht nach vorgegebenen Plänen. Sein Wunsch war schon immer Schauspieler oder Koch zu werden. Beim Kochen reizte ihn wohl mehr die mögliche Kreativität. Ich habe mir für ihn alles erträumt und habe viele Möglichkeiten für seine Zukunft gesehen. Dann muss man mit ansehen, wie so ein junger Mensch, der eigene Sohn nicht will! Er hätte es doch gekonnt, wenn er nur gewollt hätte. Die Ängste, die ich hatte, wenn ich einen Polizeiwagen bei uns vorbei fahren sah. Oh je, jetzt kommen sie wieder zur Hausdurchsuchung oder es ist sonst etwas passiert. Das war schon schlimm. Man war immer unter Druck, in Ängsten. Ahnungen haben mich gequält. Schluss damit!
Nun eine gemeinsame Beratung
Jetzt bin ich glücklich, dass er den Entzug, das Aussteigen aus diesem Zustand wollte. Stolz bin ich, dass er es geschafft hat. Ein ganz anderer Mensch ist zum Vorschein gekommen. Unser Sohn redet mit uns, fragt nach, nimmt Anteil. Er denkt wieder nach, nicht nur über sich oder darüber, was er nehmen kann. Er denkt auch an uns und andere und deren Gefühle, nimmt Rücksicht und hilft gern. Das ist neu für uns und eine tolle Erfahrung. Zur Kirche, die er seit der Konfirmation (Ausnahme Heirat seiner großen Schwester) nicht mehr besucht hatte, hat er uns begleitet.
Hinrik hat erfahren, dass er seinen Verstand sehr gut gebrauchen kann, und es macht ihm Spaß. Er merkt, dass er was kann, und das ist gut so. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass er jetzt auch noch tatsächlich mit uns zur Gruppe geht. Es tut gut, dass wir hier etwas gemeinsam machen. Ich bin dankbar, dass es diese Gruppe gibt. Zu Anfang sind wir ja allein dorthin gegangen. Nun haben wir als Familie die Möglichkeit in der Gruppe uns auszutauschen, andere Meinungen zu unserem Verhalten zu hören. Wir stehen nicht mehr allein mit unseren Problemen. Wir können und dürfen darüber reden, über Probleme. Andere Glaubensgeschwister haben die gleichen Probleme.
Rat des Priesters zum Gruppenbesuch
Bei früheren Hausbesuchen der Amtsbrüder konnten wir über derlei Probleme nicht reden. Es kam immer so rüber: Neuapostolische Christen beten alle Probleme weg, wenn sie denn überhaupt auftauchen. Das lag aber nicht an den für uns zuständigen Amtsbrüdern, sondern wir hatten eher das Gefühl, die Inhalte der Predigten in den Gottesdiensten waren entsprechend und dass sie somit eine Einstellung der Kirchenführung seien.
Es hat sich seitdem in unserer Kirche einiges geändert. Die Amtsbrüder erzählen von der Kanzel zum Beispiel auch über eigene menschliche Fehler. Unser Hauspriester hatte uns geraten, mit der Selbsthilfegruppe Kontakt aufzunehmen. Das fand ich super. Diese Einstellung finde ich richtig.
Es ist auch bei den letzten Hausbesuchen immer für unseren Sohn zum Abschluss mit gebetet worden. Mein Mann und ich haben, man kann sagen zwei Jahrzehnte, täglich um Hilfe für Hinrik gebeten. Oft waren wir verzweifelt und haben zum Schluss gar nicht mehr damit gerechnet, Hilfe zu bekommen. Nun hat Gott unser Beten erhört, und unser Sohn ist zur Vernunft gekommen. Er ist uns quasi neu geschenkt worden. Es ist wunderbar. Wir sind dankbar dafür und für den Austausch in der Gruppe.
1. Januar 2020
Text:
Der Name wurde geändert, redaktionelle Bearbeitung: Ute Paul
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